CDglosse
Die Vorbereitungen auf den "D-Day", an ]
dem Tim das Krabbelstadium hinter sich
j
lässt, aufsteht und dann irgendwann in die]
Schule kommt, laufen auf Hochtouren. Für
reichlich Beschäftigung am Wochenende ist
somit gesorgt und Kleinteile wie Fernbcdie-J
nungen sind unauffindbar versteckt!
Kurzum, das einst betont hifitaugliche]
Haus wird kindgerecht umgestaltet. I
Immerhin, eingedrückte Kalot-j
ten, zerbrochene .Schallplatten,J
mit
Fingerfarbe
bemalte
Lautsprecher,
Limonade
im Verstärker, als Löffel
abgebrochene Tonarme
oder gleich
ganz aus
dem Regal gezerrte Plat-
tenspieler sollte man so]
vorläufig
vermieden!
haben.
Um hier kein Miss-l
Verständnis zu erzeu-1
gen:
Ich liebe meine]
Frau, die - bei allem]
Verständnis
-
schon]
öfter die Bremse zog.]
Etwa als es daran ging,
den
Drehstroman-J
schluss der Garage in
den Hörraum zu verlän-]
gern, die Endstufen auf
Hi-Filius'
Was haben HiFi und Kinderwohl miteinanderzu
tun? Nichts, meinen Sie? Weit gefehlt, glauben Sie
mir. Wer als HiFi-Fachredakteur arbeitet und einen
gut halbjährigen Sohn hat, der krabbelnd, rollend
oder springend einen Raum
durchquert, sich in er-
schreckend geschickter
Weise an Gegenstän-
den hochzieht und dabei
nicht die geringsten ora-
len Hemmungen kennt,
staunt, wie schnell die
beiden angeblich ge-
trennten Bereiche in
Konflikt geraten
von Tom Frantzen
K
lar, der Kleine liebt Musik - nicht
nur, wenn „Familie Sonnenkäfer“
über Vaters Lautsprecher erschallt,
sondern selbst dann, wenn „Papa“ wieder
einmal selbst singt. Ist halt hart im Nehmen,
der Bursche. Dass der kleine Mann mich
schon vor seiner Geburt die Hälfte des
Arbeits- und Hörraumes gekostet hat. nehme
ich in Kauf. Auch wenn der optimale Hör-
platz nun irgendwo in der mittleren Schubla-
de der Wickelkommode liegt und ein schnö-
der Trennvorhang die Anlage vor den neugie-
rigen Blicken des Nachwuchses verbirgt.
Leider wird es beim Hinsehen - das lehrt
der unverklärte Blick auf herumtollende
Nichten und Neffen
kaum bleiben. Das
Refugium der anderen Raumhälfte wird als
nächstes fallen. Kurzum: Der Alte muss raus!
Ist eh über dreißig, also wozu braucht der
noch Musik? Bitte Geräte, Lautsprecher und
CDs zuerst, bevor die Katastrophe passiert!
„Der beste Hörplatz liegt
nun irgendwo in der
m ittleren Schublade der
W ickelkommode"
Aber wohin mit dem Zeug? Einen Keller gibt
es - trotz nochmaliger Suche - in unserem
Eifelhäuschen nicht. Zu blöd, immer wenn
man einen braucht, ist keiner da.
Um potentiell verlockenden Nachschub
von vornherein abzuschneiden, hat meine
bessere Hälfte nun im Alleingang den Ent-
schluss gefasst, jedem neu ankommenden
Gerät nur dann eine Aufenthaltsgenehmigung
zu erteilen, wenn dafür ein anderes das
Haus verlässt. Eine kluge Frau mit Durch-
blick, die nebenbei das Geld Zusammenhalt -
adieu, ebay & Co.!
„Papa“ tritt notgedningen den Rückzug an.
Selbst das Wohnzimmer ist schon zur Hälfte
mit Krabbeldecken. Beißringen und Ähnli-
chem gepflastert. Ein Opfer des kleinen
Fixies-Bombers ist bereits zu beklagen: die
Zweitanlage.
Nachdem die Funktion des Lautstärkereg-
lers unüberhörbar entdeckt war, musste sie
quasi über Nacht abgebaut und - außer
Reichweite - durch ein Kompaktsystem aus
Studententagen ersetzt werden.
Das macht zwar irgendwie auch Musik,
aber - seufz - längst nicht mehr so schön. Na
ja, für Kinderlieder und in Konkurrenz zu
Papas
frühmorgendlichen
Stimmbändern
sollte es reichen.
„Aber wo, wie und w om it
soll ich jetzt Musik hören?
Doch halt, es gibt eine
Lösung: Überstunden!"
Gehwegplatten zu stellen oder ein großes
AV-System in ein kleines Wohnzimmer.
.
Schwamm drüber!
Und ich liebe den Kleinen,der mich mit sei-
nem Lächeln für jedwede Unbill des Alltags
entschädigt. Er interessiert sich halt für
(fast) dieselben Dinge wie sein Vater. Dass
dies neben der Mama ausgerechnet HiFi-]
und Foto-Apparaturen sind, wer will ihm das
vorwerfen? Nur: Wo, wie und womit soll
ich jetzt Musik hören?
Doch halt, es gibt eine Lösung: Überstun-I
den! Sie lesen richtig. Warum bin ich d; ’
nicht gleich drauf gekommen? Schließlicl
kann ich ja wenigstens noch "auf der Arbeit
Musik genießen, nicht wahr? Mit Anlagen,
die ich mir selbst niemals leisten könnte um
zudem völlig ohne Angst vor klebrige:
Kinderfingem.
Hat
eben
auch
ein
paar
Vorteile,
STEREO-Redakteur zu sein. Warten wi;
mal ab, was meine Frau dazu sagt.
..
* aus STEREO 11/2000 (Tim ist langst in der Schule.es gibt noch eine „Hi-Filia“ und Papa hai einen neuen Hörraum)!
172 STEREO HIFI-JAHRBUCH 2007